Einleitung
Säbelzahntiger
die frühen Felidae
die Abspaltung des Tigers
Bergmann'sche Regel
ausgestorbene Verwandte
Biohistologie allgemein
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D

ie Abstammung des Tiger ist auch eine sehr interessante Frage. Ähnlich wie bei der Taxonomie ist sich die Zoologie nicht restlos einig, wie der Stammbaum des Tiger genau aussieht. Es sollte jedoch nicht der Anschein erweckt werden, daß die Wissenschaftler zerstritten sind, sondern es gibt unterschiedliche Meinungen im Detail, denn im Groben und Ganzen ist man sich doch einig bei dieser Fragestellung. Ob es mit der Zeit allerdings nicht doch noch Änderungen bei der Abstammungstheorie gibt ist natürlich nie ganz ausgeschlossen.

Bevor ich mit dem eigentlichen Thema befasse, möchte ich noch auf einen häufigen Irrtum eingehen. Gemeint sind hier die sogenannten Säbelzahnkatzen bzw. den Säbelzahntiger im Speziellen. Taxonomisch gehört der Säbelzahntiger zu den Katzen und ist eine Form die in der Unterfamilie Machairodontinae zu finden ist. Durch die unglückliche Namenswahl könnte man annehmen, daß der Säbelzahntiger ein Vorfahr der heute lebenden Tiger ist, dem ist jedoch nicht so. Der Säbelzahntiger, der im Oligozän bis zum Pleistozän lebte, d. h. vor 35 Millionen bis vor etwa 10 000 Jahren, steht dem Tiger aus biologischer Sicht so nah, wie beispielsweise auch dem Löwen. Es besteht also keine direkte Verwandtschaft zwischen Säbelzahntiger (auch Smilodon) und Tiger.


SäbelzahntigermodellSäbelzahntigerschädel

Die ältesten Fossilien von Säbelzahntigern fand man in Nordamerika und Europa. Später breiteten sich die Säbelzahntiger auch nach Asien und Afrika aus, und zuletzt besiedelten sie Südamerika. 1999 berichtete die US-amerikanische Kansas University über eine in Florida neu entdeckte Gattung (Xenosmilus), die vor etwa einer Million Jahren lebte. Das Größenspektrum der verschiedenen Gattungen, die sich vermutlich unabhängig voneinander entwickelten, war ebenso umfangreich wie bei den heutigen Katzen, aber um Tiger handelte es sich bei diesen Tieren keineswegs; manche Paläontologen stellen sogar die Zuordnung zu den Katzen in Frage.

Das auffälligste Merkmal waren die riesigen, messerähnlichen Fangzähne, die 18 Zentimeter oder mehr über den Unterkiefer hinabreichten. Die Tiere waren sehr muskulös und konnten das Maul sehr weit öffnen, um die Fangzähne zu benutzen. Unklar ist, ob Letztere zur Beutejagd oder für Auseinandersetzungen unter Artgenossen eingesetzt wurden. Die Säbelzahntiger waren Fleischfresser und konnten auch große Beutetiere (z. B. Mastodons) reißen. Wahrscheinlich starben sie aus, weil solche Tiere aus ihrem Lebensraum verschwanden.


Nun aber genug zum Säbelzahntiger und anderen entfernten Verwandten des Tigers. Alle Mitglieder der Familie Felidae können auf die Gruppe Miacoidae, welche im Alttertiär gelebt haben, zurückverfolgt werden. Die ersten der Wissenschaft bekannten Formen von Katzen sind/waren die Proailurinae. Man geht davon aus, daß alle heute lebenden Raubtiere auf die Miacoidae zurückgehen und man kann ebenfalls eine direkte Entwicklungslinie zu den Proailurinae, und somit zu den Felidae, erkennen.

Im Ober-Eozän lebte eine sehr wichtige Katzenunterfamilie, die Nimravinae (Scheinsäbelzahnkatzen). Die Vertreter dieser Unterfamilie (wie Nimravus, Nimravides und Dinictis) sind heute jedoch allesamt ausgestorben. Warum waren die Nimravinae denn so bedeutend? Sie sind Brückentiere - wie der Archäopteryx zwischen Sauriern und Vögeln. Alle bis dahin bekannten Katzenarten werden als Vorfahr der heute lebenden Neofelidae (neue Echte Katzen) angesehen. Die Nimravinae wiesen intermediäre Merkmale auf, die zwischen den Neofelidae und den alttertiären Proailurinen vermitteln.

Wenn uns die Abstammung des Tigers interessiert, dann müssen wir ab jetzt die Pantherinae oder Pantherini in Visier nehmen. Die Abspaltung der Panther- oder Großkatzen von den restlichen Erblinien ist vermutlich im mio-pliozänen europäischen Festland zu finden. Die Großkatzen sind jedoch keine einfache Abspaltung, sondern eine Weiterentwicklung in der Natur. Forscher wie Hemmer argumentieren damit, daß die Merkmale der heutigen Felinae näher zu den ursprünglichen Felidae sind, als dies diese bei Pantherkatzen sind. Die Gattung Uncia die heute zu den Pantherini gezählt wird scheint eigentlich eine Zwischenstellung zwischen den großen und den kleinen Katzen einzunehmen. Der Schneeleopard (als Art der Uncia) ist deutlich primitiver als das Tiger, Löwe, Leopard oder andere Panthera sind - aus phylogenetischer Sicht.

Innerhalb der Panthera ist nach genetischen Untersuchungen der Leopard die am ursprünglichsten gebliebene Katze. Da die Katzen auf dem europäischen Festland entstanden sind, konnten diese sich von hier aus in alle Welt ausbreiten. Es müssen also auch alle amerikanischen Katzenarten berücksichtigt werden. So ist gesichert, daß der nächste Verwandte der Leoparden der Jaguar ist, obgleich aus ökologischer Sicht dieser dem Tiger näher steht. Fossilen Funden zu Folge stammen sowohl der Löwe als auch der Tiger von frühen leopardenähnlichen Formen ab.

Die Betonung liegt auf leopardenähnlichen Katzenformen, es soll nicht bedeuten, daß Tiger und Löwe vom Leoparden abstammen.


Die Separierung des Tigers scheint aber sehr früh geschehen zu sein, denn der Tiger ist die am besten spezialisierte Katze unter den Panthera. Er steht den anderen Großkatzen ferner und wurde deswegen immer wieder in eine eigene Untergattung eingeteilt (z.B. Panthera Tigris [Oken] tigris tigris - für den indischen Tiger).

Eine aus dem Altpleistozän bekannte frühe Tigerform erhielt den Namen Panthera palaeosinensis. Im allgemeinen wird diese Tigerform als früher Vorfahr des rezenten Tigers angesehen, da dieser kleiner ist und ein unspezialisierteres Gebiß auswiesen. Von besonderem Interesse bei diesem Fund sind jedoch Schädelmerkmale dieses Tieres, die dem Jaguar auf erstaunliche Weise ähneln. Aber Vorsicht: Dieses Tier kann nur in die Nähe der heutigen echten Tiger gestellt werden, es ist nicht klar ob dieses Tier in die Erblinie der rezenten Tiger gehört - dies ist umstritten.

Es gibt nicht sehr viele Funde von Tigerüberresten in der eigentlichen Entwicklungslinie, jedoch erlauben die magern Funde einige Rückschlüsse. So ist ersichtlich, daß sich der Tiger bereits im Pleistozän sehr weit verbreitet hatte. So sind Funde von vielen Teilen Eurasiens bis nach Japan und Sumatra bekannt. Die damaligen Tiger entsprachen in der Größe etwa dem heutigen Amoytiger (Panthera tigris amoyensis) - der akut vom Aussterben bedroht ist.

An dieser Stelle möchte ich einen Nachtrag sowohl zu Anatomie als auch zur Taxonomie tätigen. Nach Untersuchungen an fossilen Tigerfunden ist es nach wissenschaftlicher Auffassung gerechtfertigt eigene fossile Unterarten einzuführen, da die rezenten Tiger doch erheblich andere Merkmale aufweise als die Pleistozäntiger Man trennt zwischen den fossilen Tiger des Kontinents und Djawas. Zu den uns bekannten 8 Unterarten der Tiger kommen somit zwei weitere hinzu, dies wären die kontinentalen Pleistozäntiger Panthera tigris acutidens und die Pleistozäntiger Djawas (Java) Panthera tigris trinilensis. Große Exemplare dieser Tiger konnten in Ausnahmen die Maße heutiger indischer Tiger erreichen. Die Inseltiger der damaligen Zeit waren durch die Bank kleiner.

Als Schlußfolgerung aus diesen Erkenntnissen kann man sagen, daß der heute lebende Ussuritiger der größte jemals existente echte Tiger ist. Das gedachte Zentrum der Entstehung des Tiger ist im Gebiet des heutigen nordöstlichen Chinas bzw. des südlichen Sibiriens zu finden. Mehr zur Ausbreitung des Tiger können Sie auf der Seite "Verbreitung" erfahren. Auf diesen Seiten können Sie auch mehr darüber erfahren, warum es plausibler ist, daß der Tiger ein Tier ist, welches aus dem Norden kam und warum er eigentlich kein südliches Tier sein kann.

An dieser Stelle möchte ich noch ein Zitat von H. Hemmer anführen: "Die Gewicht-Körper-Relation der einzelnen Arten und Unterarten der Pantherkatzen ... zeigt eine Bestätigung der Bergmann'schen Regel für den Tiger ... und legt den Schluß nahe, daß Tiger und Löwe ihre Entstehungszentren in Gebieten kühleren Klimas bzw. offenerer Landschaften besaßen als der Leopard.".


Bevor ich mit diesem Thema zu einem Abschluß komme, halte ich es nur für Recht und Billig noch auf die Bergmann'sche Regel einzugehen. In vielen Büchern werden einem solche Begriffe um die Ohren geschmissen und dies kann den Leser frustrieren. Aus diesem Grund möchte ich genau diesen Fehler wo es geht vermeiden.

Bergmann'sche Regel, auch Größenregel, nach der Populationen von Tieren derselben Art (z. B. Wildschwein, Kolkrabe) oder eines Verwandtschaftskreises (z. B. Katzen) in kälteren Klimabereichen durchschnittlich größer sind als die in wärmeren Klimaten. So nimmt bei den Katzen beispielsweise die Körpergröße vom sibirischen Tiger (bis 4m "between pegs") bis zum Balitiger (ca. 2,3m "between pegs"), auf der Sundainseln Bali lebte, kontinuierlich ab. Die Ursache dieser Erscheinung liegt in dem physikalischen Grundsatz, dass bei einem größeren Körpervolumen eine relativ kleinere Körperoberfläche besteht als bei einem kleinen Körpervolumen. So verliert also ein kleines Individuum relativ mehr Wärme als ein großes. Größere Arten haben daher in kalten Klimaten Überlebensvorteile gegenüber kleineren.

Diese Regel ist ein sehr wichtiger Grundsatz in der Zoologie bzw. Biologie und findet bei zahlreichen Tiergattungen Anwendung.


Bei der Abstammugsgeschichte des Tiger stößt man auch heute noch auf das eine oder andere Rätsel, welches bis heute auf eine Lösung wartet. So ist nicht klar, warum die Tiger auf den Insel immer kleiner wurden. Es gibt zwei Ansätze, die mehr als offensichtlich sind. Dies wären ersten: "Je kleiner die Insel, desto kleiner die auf ihr lebenden Tiger" oder "Je peripherer die Lage der Insel in Südostasien, desto kleiner die auf ihr lebenden Tiger". Beide Schlüsse entbehren jeder wissenschaftlicher Grundlage. Der Mechanismus hinter dieser Umformung der Größen bei Tigern der Spezies Panthera tigris ist noch unbekannt.

Den Verwandtschaftsgrad mit den heute lebenden Felidae ist meiner Meinung nach hinreichend geklärt und deswegen möchte ich zum Schluß noch kurz auf ausgestorbene Verwandte eingehen. Wie bereits an einigen Stellen erwähnt wurde, ist der Tiger, und besonders der Ussuritiger, durchschnittlich größer als der Löwe. Die größte heute noch lebende Löwenart Panthera leo krugeri im Krüger Nationalpark ist etwas kleiner als die Nominatform des Tigers. Eine schon vor einiger Zeit ausgestorbene Löwenart jedoch konnte fast die Größe des heutigen Ussuritiger erreichen. Die Rede ist vom sogenannten Riesenurlöwe Panthera fossilis. Dieser Riesenurlöwe stand dem Tiger zwar nicht so nahe wie der Höhlenlöwe Panthera leo spelaea, ist jedoch ein engerer Verwandter als der Gepard.

Andere Großkatzen, welche löwenähnlich waren, wie Felis shawi sind nicht gut genug erforscht, als daß man sie in engeren Zusammenhang mit dem Tiger bringen könnte. Felis shawi wird in neuere Zeit auch in die Gattung Panthera eingegliedert, die berücksichtige ich hier allerdings nicht, da es eine sehr untergeordnete Rolle spielt - im Bezug auf den Tiger. Auch Panthera atrox sollte noch erwähnt werden. Es handelt sich bei diesem Tier um einen sogenannten Urlöwen, der den amerikanischen Kontinent der jüngeren Pleistozän bevölkerte.

Auf die zahlreichen Details bei der Abstammung des Tiger möchte ich hier und heute verzichten, da sie so tief ins Thema einsteigen, daß mir selbst manchmal der Blick für das Essentielle fehlt. Für Informationen über die Taxonomie der Löwen und anderen Großkatzen (außer dem Tiger) könnten Sie gerne das Taxo-2.1-Skript verwenden. Bei Taxo 2.1 erhalten Sie einen Überblick über systematische Einordnung der Großkatzen. Für den Tiger selbst gibt es natürlich eine eigene Taxonomie.


Für Informationen über die Biohistologie des Tigers, gehen Sie bitte zur Seite Biohistologie. Sollten Sie noch Fragen zur Abstammung des Tigers haben, dann schreiben Sie mir bitte eine EMail:

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